Michael Schaefer
Text_Ebner_Les_Acteurs
Die Ausbildung an der Imagemaschine
Florian Ebner über „Les acteurs“ von Michael Schäfer
(Katalogtext in „Vision – Aussicht aufs Leben“, 2009, DTDF, Darmstadt)
Die Protagonisten aus Michael Schäfers Serie „Les acteurs“ schreiben sich von ihrer formalen Auffassung her ganz offensichtlich in eine spezifische Tradition des Porträts ein. Sie haben hinter einem Tisch Platz genommen, frontal zur Kamera gewandt, Gesicht und Büste heben sich plastisch von einer Fläche blauen Stoffs ab. Die großformatigen Fotografien geben die Dargestellten in leichter Überlebensgröße wieder und erweisen als gerahmte Tafelbilder dem Renaissanceporträt ihre Referenz. Untrennbar verbinden wir mit der Gattung des Bildnisses die Entdeckung des Individuums in der Neuzeit, seinen selbstbewussten Gang ins Atelier des Malers und die veristische oder idealisierende Übersetzung seiner Physiognomie auf die Leinwand. Die vorausgesetzte Ähnlichkeit des Bildes mit dem Modell schien, nach der Lesart der Physiognomik, etwas über die Identität der abgebildeten Person zu verraten, über sein Wesen und seine Persönlichkeit. Doch ein zeitgemäßer Blick fragt heute mehr und mehr nach Kontexten und Funktionen dieser Bilder, nicht nur „Wie wurde die Person dargestellt?“ sondern vor allem „Warum ließ sie sich so darstellen?“ Die Suche nach der wahren Identität der Person wird nun, ganz im modernen, werbepsychologischen Sinn, von der Suche nach dem gewählten Image abgelöst.
Bereits der Titel von Michael Schäfers Serie lässt uns den Auftritt seiner selbstbewussten Individuen vor der Kamera in einem anderen Licht erscheinen. Als »Darsteller« werden sie ausgewiesen, doch handelt es sich bei ihnen – in ihrem Bild-externen Leben – nicht um Schauspieler, sondern um die Zöglinge eines berühmten deutschen Elite-Internats. Was sie im Angesicht der Kamera zur Aufführung bringen, ist weniger ihre Persönlichkeit, sondern vielmehr ihre imaginierte Rolle als spätere Führungskraft, ihr zukünftiges Image. Standesgemäß sind sie gekleidet, dunkler Anzug und schicker Blazer, ausgestattet mit den Insignien des Geschäftsleben, Uhr und Stift. Doch die Semiotik ihrer Körpersprache, welche Souveränität und Seriosität zum Ausdruck bringen soll, mag nicht recht zur Unbeschriebenheit ihrer noch sehr jungen Gesichter passen. Ihre Posen sind nicht ungeschickt oder zufällig, viel mehr wirken sie ausgeliehen, kontrolliert oder gar konstruiert, bis hin dass sie zu rein rhetorischen Formeln des Repräsentierens werden, scheinbar losgelöst von der wirklichen Lebenssituation ihrer Performer.
Michael Schäfer hat diese Haltungen mit seinen jungen Modellen gemeinsam erarbeitet, indem sie sofort nach den ersten Aufnahmen ihre Erscheinung auf dem Bildschirm prüfen und ihr Haltung entsprechend modifizieren konnten. So nützt er die neue digitale Unmittelbarkeit für die Arbeit am Bild und geht nicht viel anders vor, wie ein Auftragsfotograf, der das neue Vorstandsmitglied adrett ins Bild rücken muss – und auf subtile Weise spielen diese Porträts mit der Ästhetik dieses Genres. Schäfer hält die jungen Leute nicht vor der selbstbestimmten Überdeterminierung des eigenen Auftritts ab, manchmal entgleitet die Haltung ins Pompöse, doch dabei führt er nicht die jungen Leute als individuelle Personen vor, sondern viel mehr den Akt der Pose als solchen, oder mehr noch unser fraglich gewordenes System von Repräsentation.
In der Zusammenschau dieser Bilder macht das serielle Prinzip erst die ungeahnten Möglichkeiten sichtbar, wie man bedeutsam an einem Schreibtisch sitzen kann: eine verblüffende Vielzahl unterschiedlicher Relationen, die aus der Neigung von Kopf und Körper, der Rolle von Armen und Händen, dem Spiel taxierender oder gewinnender Blicke und der Haltung des Stiftes bestehen. So könnten diese Aufnahmen auch fotografische Stilübungen sein, gar ein Schulfach für diese jungen Eleven bilden, denn ihr Weg ins Leben führt in eine Welt, in der die perfekte Kontrolle über die eigene äußere Erscheinung eine genauso wichtige Disziplin ist, wie das konzentrierte Erfassen von Statistiken.
Die 26 Aufnahmen von Michael Schäfer bilden daher nicht nur eine Galerie von Physiognomien unserer Zeit, man könnte diese Sammlung auch als eine Art „Übungsatlas“ verstehen. Angesichts des großen Porträtwerks August Sanders sagte ein Zeitgenosse, dass „die Schärfung der physiognomischen Auffassungsgabe zur vitalen Notwendigkeit“ werden sollte. Auch wenn wir nicht mehr in der polarisierten Gesellschaft der Weimarer Zeit leben, so bleibt dies heute, in der Zeit der medialen Wahrnehmungsökonomie, auf andere Weise aktuell. Den jungen Leuten sieht man zwar weiterhin an, aus welchem sozialen Holz sie geschnitzt sind, aber der Stand ist nicht mehr der alles prägende Faktor, auch die darstellerische Leistung des „acteurs“ muss im richtigen Moment stimmen.
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